Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag rechtlich eindeutig möglich!

25.03.09 - Bundeskanzleramt scheut Ausstieg aus EURATOM und "versteckt" sich hinter einer nicht näher bestimmten "überwiegenden Rechtsmeinung", dass ein Ausstieg nicht möglich sei

Argumentation des Bundeskanzleramts dürftig.
Atommillionen müssen österreichischer Wertschöpfung zugute kommen!

Alle neun Landtage Österreichs haben sich in Resolutionen mit dem Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag befasst. 20 Gemeinden (u.a. auch die Landeshauptstadt Linz) haben sich ebenfalls in Resolutionen für einen Ausstieg Österreichs aus EURATOM ausgesprochen. 70 Organisationen, Vereine, Interessensgemeinschaften, Unternehmen aus dem Bereich "Anti-Atom-Umwelt-Erneuerbare Energien" fordern von der österreichischen Bundesregierung den Ausstieg aus EURATOM. 78% der ÖsterreicherInnen wollen RAUS aus EURATOM!

Wenn sich die Landesregierungen - dem Auftrag der Landtage entsprechend oder Bürgermeister - dem Auftrag des Gemeinderates entsprechend - dann mit ihrer Forderung an das Bundeskanzleramt wenden, erhalten sie - beispielhaft die Bundesländer Salzburg und Tirol aufgeschlüsselt - folgende Antworten:

Antworten und Begründungen aus dem Bundeskanzleramt:

Landesregierung Salzburg

Aus dem Antwortschreiben von Bundeskanzler Dr. Gusenbauer an Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Raus vom 29. August 2007:

Der EURATOM-Vertrag enthält keine Kündigungs- oder Austrittsbestimmung. Nach überwiegender Auffassung von Rechtsexperten besteht daher weder aus völkerrechtlicher noch aus europarechtlicher Sicht die Möglichkeit eines einseitigen Austritts. Selbst wenn ein solcher Austritt rechtlich zulässig wäre, würde dieser jedoch aufgrund der institutionellen Verschränkung der Verträge jedenfalls auch Verhandlungen über die Bedingungen der weiteren Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union erfordern.
Dafür wäre die Einberufung einer Regierungskonferenz notwendig. Der Austrittsvertrag müsste einstimmig angenommen und von allen Mitgliedsstaaten der EU ratifiziert werden. Aus politischer Sicht ist aus meiner Sicht auch zu bedenken, dass Österreich mit dem Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag jedenfalls seiner Mitsprachemöglichkeit auf EU-Ebene bei diesem für unser Land so sensiblen Thema de facto verlustig gehen würde. …"

Kommentar von Univ-Prof. Dr. Michael Geistlinger dazu: "Beim EURATOM Vertrag handelt es sich um den Gründungsvertrag einer Internationalen Organisation, der in der Tat keine Austrittsbestimmung enthält. Wie bei jedem Vertrag erfolgt auch bei einem solchen Vertrag der Austritt nicht durch einen einstimmig anzunehmenden Austrittsvertrag, sondern aufgrund einer einseitigen - von Österreich erklärten - Kündigung.

Landesregierung Tirol

Aus dem Antwortschreiben von SC Dr. Matzka (Bundeskanzleramt) an den 2. Landeshauptmann-Stellvertreter Hannes Gschwendtner vom 28. Jänner 2009:

"…Nach überwiegender Auffassung besteht aus rechtlicher Sicht keine Möglichkeit eines einseitigen, isolierten Austritts nur aus dem EURATOM-Vertrag. Dies ergibt sich - neben den institutionellen Verflechtungen zwischen den Gründungsverträgen, die sich insbesondere in gemeinsamen Organen manifestieren - aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht aus der ausdrücklich normierten unbegrenzten Geltungsdauer des Vertrags und dem Mangel einer ausdrücklichen Austrittsmöglichkeit. Daneben bietet auch das allgemeine Völkerrecht keine Handhabe für einen einseitigen Austritt; insbesondere erwächst aus Art. 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention kein beliebiges Austrittsrecht. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 56 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention, dass ein allgemeines Kündigungsrecht nur besteht, sofern "feststeht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigen" oder sich ein Austrittsrecht aus der "Natur des Vertrags" herleiten lässt. Nach herrschender Auffassung kann weder aus der Absicht der Vertragspartner des EURATOM-Vertrages noch aus der Natur des EURATOM-Vertrages ein solches Austrittsrecht geschlossen werden. …"

Kommentar von Univ-Prof. Dr. Michael Geistlinger dazu: Die Stellungnahme des Bundeskanzleramts ist in beiden rechtlichen Punkten nicht zutreffend. Der EURATOM-Vertrag ist ein selbstständiger Vertrag und wird dies, sollte der Vertrag von Lissabon einmal in Kraft treten, noch viel deutlicher sein. Er schuf eine eigene internationale Organisation, die trotz gemeinsamer Organe mit EG und EU ein rechtliches Eigenleben führt. Der EURATOM-Vertrag als Gründungsvertrag einer internationalen Organisation ist ein Vertrag, der im Lichte des Verständnisses der Völkerrechtskommission (International Law Commission/ILC), die den Text des Artikel 56 WVK erarbeitet hat, "seiner Natur nach" eine Austrittsmöglichkeit enthält. Es darf auch nicht übersehen werden, dass die WVK auf den EURATOM Vertrag keine unmittelbare Anwendung findet, sondern völkergewohnheitsrechtliche Bestimmungen über den Austritt aus völkerrechtlichen Verträgen, die eine internationale Organisation begründen und keine ausdrückliche Austrittsbestimmung enthalten, zur Anwendung gelangen. Diese Regeln hat aber gerade die Völkerrechtskommission erhoben, als sie den Text für die WVK erarbeitet hat.

Die rechtlichen Argumente des Bundeskanzleramts sind daher nicht zutreffend und halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand.


"Der Ruf nach einem Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag ist unüberhörbar! Wir erwarten uns von der Bundesregierung sich mit den politischen Möglichkeiten eines Ausstiegs Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag ernsthaft auseinanderzusetzen! Die rechtliche Möglichkeit steht außer Frage! 78% der ÖsterreicherInnen wollen RAUS aus EURATOM! Die Kampagne "Österreich - RAUS aus EURATOM" hat ungebremsten Zulauf! Die Menschen wollen nicht, dass jährlich zig-Millionen Euro an die europäische Atomindustrie fließen und damit in Österreich wichtige Wertschöpfung verloren geht! Die 100 Millionen Euro an die europäische Atomindustrie werden in Österreich dringend für den Ausbau der erneuerbaren Energien gebraucht!", so Egger und Schweiger abschließend.

Hintergrund:

Es gibt drei Gutachten, die zeigen, dass ein Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag möglich ist (und zwar aufgrund Artikel 56 Wiener Vertragskonvention entsprechendem Völkergewohnheitsrecht).

Artikel 56 Wiener Vertragskonvention lautet wie folgt:

"1. Ein Vertrag, welcher keine Bestimmung betreffend seine Beendigung enthält und keine Kündigung oder Austritt vorsieht, kann nicht gekündigt oder verlassen werden, es sei denn
a) es ist erwiesen, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit von Kündigung oder Austritt zuzulassen beabsichtigten; oder
b) ein Recht auf Kündigung oder Austritt aus dem Wesen des Vertrages abgeleitet werden kann."

2. Eine Vertragspartei hat nach Ankündigung ihrer Absicht, den Vertrag gemäß Absatz 1 zu kündigen oder daraus auszutreten, eine mindestens zwölfmonatige Frist einzuhalten."


Gemäß dem Völkergewohnheitsrecht, das Art. 56 der Wiener Vertragskonvention widerspiegelt, besteht ein Recht auf einseitigen Austritt aus dem EURATOM-Vertrag. Der EURATOM-Vertrag ist nach wie vor nichts anderes als ein Vertrag, der eine internationale Organisation begründet. Diese Organisation fällt unter das Dach der Europäischen Union, hat jedoch dadurch sein Wesen weder verloren noch geändert.

Ein allfälliges Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages wird auf die Rechtslage hinsichtlich des möglichen einsseitigen Austritts aus dem EURATOM-Vertrag keine Auswirkung haben, da der EURATOM-Vertrag von der durch diesen Vertragsentwurf initiierten Entwicklung des europäischen Rechts nicht betroffen sein wird.

Die drei genannten Gutachten (Universität Salzburg, Universität Linz, Universität Nürnberg) kommen im Wesentlichen zum Ergebnis, eine einseitige Kündigung des EURATOM-Vertrags sei möglich, ohne die EU-Mitgliedschaft an sich zu berühren.

Sie begründen dies im Wesentlichen mit derselben Argumentation:

Da der EURATOM-Vertrag keine Kündigungsbestimmung enthalte, seien die völkerrechtlichen Bestimmungen über die Beendigung völkerrechtlicher Verträge anwendbar. Dies sei insbesondere die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 bzw. das darin kodifizierte Völkergewohnheitsrecht.

Art. 56 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) regelt den Austritt aus einem völkerrechtlichen Vertrag, der keine Bestimmungen hinsichtlich Beendigung, Kündigung oder Austritt enthält. Nach übereinstimmender Auffassung der Gutachten biete Art. 56 Abs. 1 lit. b WVK als Ausdruck entsprechenden Völkergewohnheitsrechts eine Grundlage für eine Kündigung des EURATOM-Vertrags. Diese Bestimmung sieht eine Kündigungsmöglichkeit vor, wenn ein Recht auf Kündigung oder Austritt "aus dem Wesen des Vertrages abgeleitet werden kann". Dies sei im Falle des EURATOM-Vertrages zutreffend, da davon ausgegangen wird, dass nur wenige Verträge ihrem Wesen nach unkündbar seien: Friedensverträge, Verträge über Grenzverläufe oder Verträge die auf eine "konstitutionelle" Weiterentwicklung des allgemeinen Völkerrechts abzielen. Der EURATOM-Vertrag falle unter keine dieser Kategorien sondern begründe eine internationale Organisation zur Zusammenarbeit auf einem "wirtschaftlich-technischen" Gebiet. Ergänzend sei auch eine Kündigung gem. Art. 62 Abs. 1 WVK zulässig ("Wegfall der Geschäftsgrundlage"). Demnach seien die Umstände, unter denen der EURATOM-Vertrag geschlossen wurde, heute grundlegend geändert und die mit dem Vertragsschluss verbundenen Erwartungen nicht mehr erfüllbar, was ebenfalls einen Kündigungsgrund darstelle.

Die Einbettung der Europäischen Atomgemeinschaft in die EU sei dabei kein Hindernis. Der EURATOM-Vertrag sei zwar eng mit dem EG-Vertrag und dem EU-Vertrag verbunden, etwa durch gemeinsame Organe, er sei aber dennoch rechtlich selbstständig und habe eine eigene Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen. Auch folge aus dem Beitritt zur EU im Falle Österreichs (im Gegensatz etwa zu Gründungsstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft) nicht die Unmöglichkeit der Kündigung eines Gemeinschaftsvertrages.

Weitere Informationen:
Roland Egger + 43 664 421 56 13
Gabriele Schweiger + 664 390 77 09
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